Donnerstag, 27. September 2007

Demonstration "Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn"

Am 22. September 2007 gingen in Berlin circa 15.000 gegen Vorratsdatenspeicherung und die zunehmende Überwachung auf die Straße. Aufgerufen hatten dazu der AK Vorratsdatenspeicherung und circa 50 Gruppen und Berufsverbände. Die Leipziger Kamera war dabei. Im Folgenden werden einige Fotos und unsere Rede auf der Zwischenkundgebung dokumentiert:

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Die Demonstration gegen Überwachung beginnt mit intensiven Polizeikontrollen.

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8.000 Demonstrant_innen warten darauf, dass die Polizei die Route freigibt.

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Ein Großteil der Demonstrant_innen demonstrierten gegen das 129a-Verfahren gegen linke Aktivist_innen und kritische Wissenschaftler_innen.

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Den Datenkraken des Foebud fährt der mobile Überwachungswagen der Berliner Polizei voraus. Dahinter das schlimmste Plakat der Demo. Mag der legalistische Ansatz der Bürgerrechtler schon nerven, kommen jetzt noch nationale Untertöne in Debatte. Bezüge auf die Nationalhymne wollen wir nicht!

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Redebeitrag der Leipziger Kamera auf der Demo „Freiheit statt Angst“ in Berlin am 22.9.2007

Wenn Innenminister Schäuble mal wieder nicht genug Menschen präventiv erschießen lassen kann, dann ist entschiedener Widerspruch nötig. Die Vertreter_innen des Rechtsstaates entfernen sich derzeit immer mehr von den Grundsätzen, denen sie angeblich verpflichtet sind. Grundlegende Rechte, die den Einzelnen vor dem Zugriff des Staates schützen sollen, wie die Unschuldsvermutung, die Gleichheit vor dem Gesetz, der Schutz der körperlichen Unversehrtheit oder wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung werden immer mehr ihrer Substanz beraubt. Sicherheitsgesetze, innere Sicherheit, Bundes-Trojaner, heimliche Online-Durchsuchung... das sind die neuesten infamen Beispiele. Das geplante Gesetz zur sechsmonatigen Speicherung fast sämtlicher Telekommunikationsdaten, die Vorratsdatenspeicherung, ein weiterer Höhepunkt dieser Entwicklung.
Das alles kann man zu Recht kritisieren. Doch obwohl solche Kritik wichtig ist, sollte uns das nicht hindern, eine etwas aus der Mode gekommene Diagnose zu stellen: „Der Fehler liegt im System“. Dieser alte Demoslogan mag zwar platt klingen, falsch ist er deswegen noch lange nicht.

Welchen Zweck hat also der um sich greifende Überwachungswahn? Kurz gesagt: Die vielen Verlierer_innen unter Kontrolle zu halten, die unser auf Konkurrenz basierendes Wirtschaftssystem nun mal ständig produziert. Denn obwohl letztlich alle von Überwachung betroffen sind, muss man sehen, dass Überwachung und Kontrolle auch sehr selektiv wirken. Es sind ganz bestimmte soziale Gruppen, die besonders davon betroffen sind. Dazu zählen Arme und Migrant_innen ebenso wie Menschen, die alternative Lebensentwürfe verfolgen. Überwachung findet nicht im luftleeren Raum statt, sie dient der Aufrechterhaltung des Status Quo.

Menschen mit Migrationshintergrund unterliegen dabei wohl der schärfsten Kontrolle. So genügt schon der bloße Verdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung für eine sofortige Abschiebung. Aber am besten sollten diese Menschen eh nicht bis hierher kommen. Dafür wird die EU-Außengrenze mit modernster Technik abgesichert und Auffanglager in Nordafrika oder der Ukraine eingerichtet. Die, die es trotzdem bis zu uns geschafft haben, müssen in Heimen wohnen. Sie werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, ihnen wird verboten, einer Arbeit nachzugehen, statt Geld erhalten sie häufig Sachleistungen. Wer so leben muss, weiß was Kontrolle, Gängelung und Schikane bedeutet.

Denen, die von Polizei und privaten Sicherheitsdiensten aus den Innenstädten und Bahnhöfen vertrieben werden – z.B. Bettelnden, Punks oder Junkies - , geht es ähnlich. Sie alle sind Menschen, die gemäß dem Grundsatz der kapitalistischen Gesellschaft, dass alles dazu da ist, aus Geld mehr Geld zu machen, schlicht nichts wert sind. In der Standortkonkurrenz der Städte spielen die Innenstädten als Orte des Konsums eine wichtige Rolle. Wer da nicht ins Bild passt, fliegt raus. Gleiches gilt für die Bahnhöfe. Die sollen als „Visitenkarte“ für das Stadtmarketing dienen und entsprechend sauber gehalten werden. Hier treffen sich politische und wirtschaftliche Interessen bei der Verdrängung mißliebiger Personengruppen aus dem Stadtbild. Die Benachteiligung dieser Gruppen setzt sich fort und verschärft sich noch.

Aber auch wenn man diese Folgen von Kapitalismus und staatlicher Herrschaft kritisiert, kann man leicht ins Visier der Überwacher geraten. Der Fall des wegen Terrorismusverdacht verhafteten Andrej H. zeigt eindrücklich, wie schnell das geht - Zugang zu Bibliotheken und die Verwendung bestimmter Schlagworte in wissenschaftlichen Texten genügen. Ein solches Verfahren nach Paragraf 129a richtet sich dabei nicht nur gegen die unmittelbar Verdächtigen, sondern auch gegen deren politisches und soziales Umfeld. Durch Hausdurchsuchungen ebenso wie durch Überwachung der Telekommunikation per Telefon und Internet werden Daten gesammelt, durch Observationen Bewegungsprofile erstellt, Wohnungen und politische Zentren abgehört. Politische Arbeit soll so erschwert, Aktivist_innen eingeschüchtert und verunsichert werden. Auch diese Vorgänge verlangen unseren Widerspruch.

In diesem Sinne:
Schluss mit der Videoüberwachung!
Nein zu Vorratsdatenspeicherung und Onlinedurchsuchungen!
Schluss mit der rassistisch motivierten Überwachung von Migrant_innen!
Für eine Abschaffung des Paragrafen 129a und b!
Schluss mit der Repression gegen linke Aktivist_innen und kritische Wissenschaftler_innen!


Rede zum Anhören:
http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=18880


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Links:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/142/1/
http://radio.freiheitstattangst.de/

Einige Foto-Impressionen von der Demo:
http://www.foebud.org/datenschutz-buergerrechte/vorratsdatenspeicherung/demo-2007-09-22-berlin-bilder

Presseberichte über die Demo:
http://www.tagesschau.de/inland/ueberwachung2.html
http://www.heise.de/newsticker/meldung/96385
http://www.heise.de/newsticker/meldung/96388
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26257/1.html

Zum Thema Polizeigewalt während der Demo:
Offener Brief an die OrganisatorInnen der Demonstration 'Freiheit statt Angst', http://www.nadir.org/nadir/initiativ/fels/de/2007/09/440.shtml
http://www.nadir.org/nadir/initiativ/fels/de/2007/08/431.shtml
http://de.indymedia.org/2007/09/194668.shtml
http://www.fau.org/artikel/art_070924-094142
Stoppt die Vorratsdatenspeicherung! Jetzt klicken & handeln!Willst du auch bei der Aktion teilnehmen? Hier findest du alle relevanten Infos und Materialien:

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